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Kompetenzorientiert Beurteilen im Deutschunterricht

Das vorliegende Dossier zeigt auf, welche Aspekte die kompetenzorientierte Beurteilung im Deutschunterricht beinhaltet und wie sie in den Unterrichtsalltag integriert werden kann. Sie soll Lehrpersonen bei der Umsetzung einer förderorientierten und transparenten Beurteilungspraxis unterstützen. Die theoretischen Grundlagen der kompetenzorientierten Beurteilung werden mit praktischen Beispielen aus dem 1. bis 3. Zyklus veranschaulicht.

Inhaltlich betreuen dieses Dossier Gisela Koller (3. Zyklus) und Eva Biasio (1. und 2. Zyklus). Gerne werden auch Ideen von Lehrpersonen aufgenommen.

 

Einführung

Beispiele von Beurteilungsinstrumenten

 

Einführung

Durch die Einführung des Lehrplans 21 findet einen Paradigmenwechsel statt: Anstelle von Lerninhalten geht es vielmehr darum, welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler erwerben. Diese Veränderung des Lernbegriffs macht auch neue Beurteilungsformen notwendig (Bohl, 2009). In breiten Lernkontexen und Aufgabenstellungen eruiert die Lehrperson, inwieweit Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, ihr Wissen und Können in konkreten Situationen anzuwenden und zu nutzen, Aufgaben zu lösen oder Probleme zu bewältigen (Klieme et al., 2003). Kompetenzorientierter Unterricht bedingt somit ein breites Beurteilungsrepertoire, um Kompetenzen in verschiedenen Facetten gut sichtbar werden zu lassen. Eine Lehrperson benötigt mehrere Informationsquellen, um fundierte Aussagen über Lernfortschritte und -probleme der Schülerinnen und Schüler machen zu können. Dies ergibt die Grundlage für eine adaptive Gestaltung des Unterrichts.

Für den Fachbereich Deutsch bedeutet dies, dass alle Sprachhandlungsbereiche berücksichtigt werden müssen: Neben „schriftlichen Produkten, mündlichen Beiträgen“ werden ebenfalls „das Hörverstehen und das Lesen miteinbezogen“ (DEDK, 2020). Die vier Sprachlernbereiche werden im Unterricht meistens nicht isoliert geübt, sondern sind verschränkt, wie das folgende Beispiel zeigt: Nach dem Lesen eines Buches (Lesen, Literatur) wird eine Buchpräsentation durchgeführt (Sprechen). Die anderen Schülerinnen hören zu (Hören) und schreiben ein schriftliches Feedback (Schreiben).

Für die Beurteilung im Fachbereich Deutsch ist es zentral, dass die vier Sprachhandlungsbereiche und zwei Gegenstandbereiche des Lehrplans 21 ausgewogen abgedeckt sind. Eine Beurteilung darf und soll nicht (mehr) mit ausschliesslich Diktatnoten erhoben werden (vgl. Merkblatt Beurteilung: Deutsch, DVS). Die Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern führt explizit auf, dass jeder der vier Kompetenzbereiche ca. 20% der Gesamtnote Deutsch ausmacht. Die letzten 20 % werden aus den beiden Gegenstandsbereichen «Sprachen(n) im Fokus» und «Literatur im Fokus» erhoben. Zum Kompetenzbereich «Sprache(n) im Fokus» gehören u.a. Grammatik und Rechtschreibung, die dann gemeinsam mit den weiteren drei Handlungs- und Themenaspekten ausschliesslich 10% der Gesamtnote ausmachen. (ebd.)

Vgl. Merkblatt Beurteilung: Deutsch

 

Mit der Einführung des Lehrplans 21 wurde die formative (förderorientierte) Beurteilung wichtiger, weil sie den Aufbau und den Ausbau von Kompetenzen der Lernenden entlang entsprechender Lernziele begleitet und unterstützt (Bertschy, Riedo & Baeriswyl, 2014). Regelmässige verfahrens- und strategiebezogene Rückmeldungen unterstützen die Schülerinnen und Schüler, um Fehler produktiv zu nutzen (ebd.). Ebenfalls tragen transparente und verständliche Lernziele dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler ihr Lernen selbständig steuern können. Weiter unten sind im Kapitel «Prozessbezogene Beurteilungen» verschiedene beispielshafte Beurteilungsinstrumente zur formativen Beurteilung und zum Selbst- und Peerfeedback zu finden.

Bei allen Spracherwerbs- und Sprachlernprozessen gehören Fehler dazu. Sie geben Aufschluss über den aktuellen Entwicklungsstand und können für die weitere Gestaltung des Unterrichts sinnvoll genutzt werden. Dabei ist es zentral, dass «die kommunikative Absicht (…) immer vor der formalen Korrektheit steht» (DEDK, 2020). Deshalb soll das Korrekturverhalten gezielt eingesetzt werden und zur entsprechenden Lernsituation passen.
In der Förderung der Mündlichkeit hemmen beispielsweise zu häufige Korrekturen den Sprechfluss. Als wichtige Voraussetzung für sprachliches Lernen nennt Adler (2011) Interesse, emotionale Beteiligung und gerichtete Aufmerksamkeit. Daneben werden im sprachsensiblen Unterricht verschiedene Sprachlehrstrategien eingesetzt, um den Kindern ein korrektes Sprachangebot zu machen und ihren Wortschatz zu erweitern (ebd.). Anstelle einer herkömmlichen Korrektur (Kind: «Wo Leim?», Lehrperson antwortet: «Das heisst richtig: Wo ist der Leim?), die den natürlichen Kommunikationsfluss unterbricht, können vielfältige Sprachlehrstrategien benutzt werden wie beispielsweise das korrektive Feedback. Die Äusserung des Kindes wird in korrekter Form wiederholt, erweitert oder ergänzt («Du sucht den Leimstift? Schau, der Leimstift ist im Regal verräumt.»). Zentral dabei ist, dass diese Techniken situationsangemessen und sensibel verwendet werden.

Auch Rechtschreibekorrekturen entsprechen dem Lernstand des jeweiligen Kindes. Jüngere Kinder wenden einfachere Formen an wie z.B. die lautgetreue Schreibweise. Da sich unsere Schrift am Lautprinzip orientiert, müssen Kinder erst die Phonem-Graphem-Korrespondenz korrekt anwenden können, um anschliessend die Rechtschreibefähigkeiten zu verfeinern.

Vgl. Grundsätze des Rechtschreibunterrichts, PH Luzern

 

 

Beispiele von Beurteilungsinstrumenten

In diesem Kapitel werden verschiedene Beurteilungsinstrumente beschrieben. Sie sollen die Beurteilungsvielfalt im Fachbereich Deutsch veranschaulichen. Die Beurteilungssituationen lassen sich in drei Kategorien einteilen:

1. Lernzielorientierte Beurteilungen (Lernkontrollen)

Summative oder auch formative Lernkontrollen, mündlich oder schriftlich

2. Produktorientierte Beurteilungen

Beurteilungen von kleineren oder grösseren Produkten oder Projekten (z.B. Vorträge, Buchpräsentation, Theater, Gedicht)

3. Prozessorientierte Beurteilungen

Beurteilungsformen, die den Lernprozess untersuchen (z.B. Selbstbeurteilungen, Reflexionen, Lesetagebuch)

 

1. Lernzielorientierte Beurteilungen

Lernzielorientierte Beurteilungsinstrumente basieren auf den Lernzielen der bearbeiteten Kapitel eines Lehrmittels (z.B. Die Sprachstarken) und sind in der Form von Selbst- und Fremdbeurteilung ausgearbeitet. Sie können mit entsprechenden Anpassungen für die Lernkontrollen zur Überprüfung der Lernziele summativ am Ende der Lerneinheit oder auch formativ im Prozess eingesetzt werden.
Beispielsweise kann ein lernzielorientierte Beurteilungsinstrument für den Kompetenzbereich Schreiben als Unterstützung für den Schreibprozess dienen oder als Peerfeedback bei der Durchführung einer Schreibkonferenz eingesetzt werden. Sie stehen im Bezug zu den Kompetenzen des Lehrplans 21.
Als weitere Möglichkeit, um lernzielorientiert zu beurteilen, bieten sich die Orientierungsaufgaben an. Diese Aufgabestellungen sind den Kompetenzen des Lehrplans 21 zugeordnet und enthalten ein Auswertungsraster zur Beurteilung des entsprechenden Lernziels (siehe auch zebis.ch/orientierungsaufgaben).

Ein Beispiel für den Zyklus 1: Gedicht präsentieren (2. Klasse)

Aus:
Die Sprachstarken 2, Arbeitsheft, © Klett und Balmer Verlag, Baar 2021


Ein Beispiel für den Zyklus 2: OA Deutsch 4. Klasse

Dieser Screenshot ist Teil der Orientierungsaufgabe "Im Tierreich"
Zur Orientierungsaufgabe


Beispiele für den Zyklus 3: Einen Antrag schreiben

Aus:
Die Sprachstarken 9, Begleitband mit Online-Material, Arbeitsblatt 13, © Klett und Balmer Verlag, Baar 2016

Eine adaptierte Fassung eines Beurteilungsrasters der Autorinnen dieses Dossiers. Das Raster kann im Word-Format heruntergeladen werden.

 

 

2. Produktorientierte Beurteilungen 

Produktorientierte Beurteilungen werden dann relevant, wenn ein Produkt am Ende eines Lernprozesses beurteilt werden soll. Dabei werden verschiedene Kompetenzen entwickelt und es kann von einer ganzheitlicheren Beurteilung gesprochen werden.  Die Beurteilung bezieht sich auf Lernziele, die verschiedenen Kompetenzbereichen des Lehrplans 21 zuzuordnen sind. Dazu braucht es klar formulierte Kriterien, welche den Lernprozess steuern und den Lernenden transparent aufzeigen, was von ihnen verlangt wird. Es kann sowohl formativ der Lernprozess als auch summativ das Produkt beurteilt sowie förderorientiert die Qualität der einzelnen Kriterien ausgewiesen werden.  Die produktorientierte Beurteilung erscheint sinnvoll für Texte oder Präsentationen von Lernprodukten wie z.B. Präsentationen, Plakate oder eine „Lesekiste“, deren Entstehung, Präsentation und Beurteilung/Bewertung mit den folgenden Beispielen illustriert werden soll.

Ein Beispiel für den Zyklus 1: Plüschtierpräsentation (Kindergarten)

Jedes Kind bringt sein Lieblingsplüschtier mit und bereitet eine kurze Präsentation vor. Die Beurteilungskriterien werden vorgängig gemeinsam erarbeitet (vgl. Symbolkarten).


Ein Beispiel für den Zyklus 2: Präsentation eines wichtigen Fotos (6. Klasse)

Jedes Kind präsentiert ein wichtiges Foto und stellt der Klasse den Hintergrund vor.


Ein Beispiel für den Zyklus 3: Lesekiste

Eine Lesekiste ist eine Schachtel oder ein Schuhkarton, welche(r) passend zu einem selbst gewählten Buch gestaltet und mit verschiedenen Gegenständen gefüllt wird. Du sammelst in dieser Kartonschachtel deine Eindrücke zum gelesenen Buch und machst es so anderen Leserinnen und Lesern schmackhaft.

 

3. Prozessorientierte Beurteilungen

Um Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern steuern und unterstützen zu können, müssen im kompetenzorientierten Unterricht Beurteilungssituationen geschaffen werden, damit die Lehrperson erkennen kann, ob das Wissen und Können von den Lernenden in konkreten Situationen angewendet und genutzt, Aufgaben gelöst sowie Probleme bewältigt werden können. Dies setzt gute Lernaufgaben voraus, denn sie ermöglichen, Kompetenzen zu erkennen. In Form einer Konfrontation mit einer Problemstellung werden Prozesse ausgelöst. Lernprozesse können in der Folge formativ oder auch summativ beurteilt werden.

Die folgenden Beispiele sollen verschiedene Möglichkeiten der formativen Beurteilung von Lernprozessen im Deutschunterricht aufzeigen.

A. Formative Beurteilung mit Feedback

Die Hattie-Studie konnte aufzeigen, dass Feedback, formative Beurteilung kombiniert mit Feedback und Selbsteinschätzung zu den wirkungsvollsten Massnahmen des Unterrichtens gehören. Ein wirkungsvolles Feedback setzt genaues Beobachten voraus, welches sich auf einem genauen Feststellen des Fortschrittes während des Lernprozesses abstützen muss (vgl. formatives Beurteilen). So wird Lernen unterstützt und bildet einen wesentlichen Teil des Prozesses begleitenden Beurteilens.

Beispielsweise tritt die Lehrperson im Forschungsheft über die vier Satzproben in Dialog mit den Kindern. Die Kinder schätzen sich selber ein, die Lehrperson gibt darauf ein schriftliches Feedback mit Tipps für die Weiterarbeit.

Ein Beispiel für den Zyklus 1: «Diese Wörter kann ich schon» (1. Klasse)

Das Wörterdiktat wird zwei Mal im Jahr durchgeführt, um den Lernstand der Kinder festzustellen, passende Förderung abzuleiten und den Lernweg zu dokumentieren. Zu Beginn werden die Bilder mit den Kindern besprochen (Wortschatz klären).

 


Ein Beispiel für den Zyklus 2: Das Forscherheft (6. Klasse)

Im Forscherheft schreibt das Kind am Ende einer Übung in einer Sprechblase eine Selbsteinschätzung. Anschliessend tritt die Lehrperson in einen schriftlichen Dialog mit dem Kind und kommentiert die Selbsteinschätzung. Ebenfalls gibt sie ein lernförderliches Feedback zu ihren Korrekturen sowie Tipps für die Weiterarbeit.

 


Ein Beispiel für den Zyklus 3: Lernen im Dialog mit dem Reisetagbuch


 

B. Instrumente für die Selbsteinschätzung für Lernende

In diesem Kontext ist es sehr wichtig, dass Lernende ihren Lernprozess regelmässig reflektieren, ihn dokumentieren und sich bewusst sind, wo sie ihre Stärken - aber auch Schwächen haben.

Das Lehrmittel „Die Sprachstarken“ bietet in den Lerneinheiten verschiedene Varianten von Selbstreflexionsinstrumenten an (Selbstbeurteilungs- und Peerfeedbacksformen).

Ein Beispiel für den Zyklus 1: Selbstbeurteilung "Lesen"

Ein mögliches Beispiel für den Zyklus 1 findet sich im Lehrmittel „Die Sprachstarken 2“ (Arbeitsheft, S. 130).

 

Ein Beispiel für den Zyklus 2: Selbstbeurteilung "Briefe schreiben"

Ein mögliches Beispiel für den Zyklus 2 findet sich im Lehrmittel „Die Sprachstarken 3“.

 

Ein Beispiel für den Zyklus 3: „Feedback zum Argumentieren“

Aus: Die Sprachstarken 7, Arbeitsheft Grundansprüche, © Klett und Balmer Verlag, Baar 2013

Feedback zum Argumentieren

 

C. Instrumente für die Fremdeinschätzung für Lehrpersonen

Für die Lehrperson sind auch entsprechende Instrumente notwendig, damit sie die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler dokumentieren kann. Diese Beurteilungsinstrumente bieten während dem Schuljahr einen Überblick über die Lernstände der Lernenden einer Lerngruppe und unterstützen die Lehrperson bei ihrer Beurteilung am Ende des Semesters für die Zeugnisse, was eine möglichst faire Einschätzung ermöglicht.

Auch hier bieten verschiedene Lehrmittel wie z.B. „Die Sprachstarken“ oder „Unterwegs zur persönlichen Handschrift“ auf die einzelnen Themen bezogene Beobachtungs- und Beurteilungsraster mit entsprechenden Kriterien an.

Beispiele für den Zyklus 1: Beobachtungsbogen (Kindergarten)

Beobachtungsbogen zur Erstellung eines Entwicklungsprofils zum Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule (Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein, 2006)

Download
Aus: Die Buchstabenreise, Handbuch,  © Klett und Balmer Verlag, Baar 2009

Die Buchstabenreise

Ein Beispiel für den Zyklus 2: Lernstandsanalyse Schrift (1. – 4. Klasse)


Ein Beispiel für den Zyklus 3: Arbeitsjournal

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Sehr geehrte Damen und Herren, 

weitere Beurteilungsraster zu "Hören, Lesen, Sprechen, Schreiben" finden sich in: Selimi, Naxhi (2020). Bildungssprache Deutsch und ihre Didaktik. Eine kompakte Einführung in Theorie und Praxis (3. Aufl.). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. 

Ein Raster zur Einschätzung der phonologischen Bewusstheit und des Wortschatzes im Elementarbereit (Kiga, Grundstufe, Basisstufe) findet sich in Selimi, Naxhi, unter Mitarbeit von Ineichen, Gabriela (2021). Spielen, Sprechen, Entdecken. Kompetenzorientierte Bildungssprache auf der Eingangsstufe (2. Aufl.) Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

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